Antares

This is recreational sailing, we're not here to suffer

plötzlich Adria – Teil 2

5. Oktober, 0:30
Leinen los, wir verlassen den Hafen von Plataria im hellen Mondlicht das auf der See zwischen Korfu und dem Festland glitzert.

5. Oktober, 1:30
Ich lege mich hin, um ein bisschen zu schlafen, und dann am Morgen die Wache zu übernehmen.

5. Oktober, ca. 4:00
Ich wache auf und gehe an Deck. Flo und Pascal sind beide noch oben und erzählen, dass wir gerade von je einem großen Kreuzfahrer backbord und steuerbord passiert wurden. Das AIS hat noch ein paar andere Fahrzeuge im Blick, eine Motoryacht, die uns entgegen kommt und ein Segelboot auf etwa gleichem Kurs hinter uns.
Pascal legt sich hin, Florian ein bisschen später auch. Ich genieße die Ruhe.

die ersten Farben des neuen Tages kriechen über die Küstengebirge
der erste Sonnenaufgang

5. Oktober, 6:15, 40°3’49,2″N, 19°37’54,8″O
Über den schroffen Berge der Küste zeigt sich zaghaft das erste Morgenlicht. Kurz vor Sonnenaufgang kommt eine Gruppe Delfine uns besuchen, erst tauchen an backbord vier oder fünf graue Körper auf, dann nochmal kurz an Steuerbord, dann schwimmen sie davon. Ich nehme an, dass sie nicht ganz so viel Spaß an uns hatten, weil wir unter Maschine liefen.
Zwei Minuten später kam Flo nach oben, der das kurze Schauspiel leider verpasst hatte.

5. Oktober, 9:54, 40°24’40,5″N 19°15’53,0″O
Wir passieren die Nordwest Spitze der Halbinsel vor der Bucht von Vlora und Orikum in Albanien. Der Wind hat mittlerweile deutlich aufgefrischt, ist für uns aber noch recht angenehm. Das Segelboot, das wir am frühen Morgen auf dem AIS gesehen hatten ist immer noch ein paar Meilen hinter uns.

5. Oktober, 11:49, 40°38’44,2″N, 19.15’39.4″O
Querab der Mündung des Vjosa, wir haben schon seit einigen Stunden schönen Segelwind und lassen uns von der Genua mit bis zu neun Knoten nach Norden ziehen.
Weil die Wettervorhersage für die Nacht doch starken Wind prognostiziert haben wir kurz diskutiert, in Durres, Albanien zu übernachten, das aber verworfen, der Windgradient würde, nach Vorhersage, zur Küste hin stark abnehmen. Nicht lange hinter Durres geht die Sonne wieder unter und wir laufen in die zweite Nacht.
Während der Wind zunimmt, schauen wir immer wieder nach achtern, ob unser “Schattenboot” noch da ist. Es segelt sehr anders als wir – während wir mehr oder weniger platt vor dem Wind segeln, kreuzt es vor dem Wind hin und her und ist dennoch deutlich langsamer. Über die Stunden fallen sie so weit zurück, dass sie nur noch schwer am Horizont zu sehen sind.
Es ist schon seltsam, wenn man da draußen ist, gerade in schwerem Wetter, werden alle Seeleute zur Gemeinschaft, man sieht nach den anderen, fragt sich, ob an Bord alles in Ordnung ist.

Quetzal taucht in eine eher kleine Welle ein
Blick voraus

5. Oktober, 20:52, 41°44’45,3″N, 19°13’9,2″O
Etwa querab der Grenze zwischen Albanien und Montenegro ändern wir den Kurs um ca. 15° nach Backbord, der Wind von backbord achtern hat jetzt deutlich aufgefrischt, wir laufen immer noch nur unter, jetzt deutlich gereffter, Genua.
An der Stelle werden meine Erinnerungen etwas bruchstückhaft, denn das, was als nächstes passiert ist, empfand ich als elementar: Wir sind offenbar quer durch ein Gewitter gelaufen. Ich vermute, mit besserem Wetterrouting hätten wir das verhindern können, aber wir hatten nur auf die Windvorhersage geschaut, nicht auf das kurzfristige Radarbild.
Der Wind nahm schnell zu, die höchste abgelesenen Böengeschwindigkeit war irgendwas an die 40kt, ich vermute, dass zwischendurch auch mal fast 50kt anlagen. Die Wellen waren nach meiner Schätzung über vier Meter hoch, aber das ist schwer zu sagen, wenn der Mond nur ab und an mal die Szenerie beleuchtet.
Irgendwann fiel auch noch das Tablet aus, das wir zur Navigation verwendet haben. Oder genauer: es fiel nicht wirklich aus, aber da wir eine Menge Gischt über Bord bekamen war das Display voller Salzwasser und nicht mehr zu bedienen, und irgendwann hat ein Wassertropfen offenbar die Navigations-App in den Hintergrund geschoben und ich konnte sie nicht mehr aufrufen. (Das Tablet hat tatsächlich drei mechanische Tasten statt der üblichen Android Softkeys, die habe ich aber in der Dunkelheit nicht gefunden).
An der Stelle hatte ich genug vom Segeln. Ich habe Florian gebeten, die Maschine zu starten und auf normale Marschfahrt zu gehen, dann habe ich den Rest der Genua geborgen. Dabei ist mir die Schot von der Winsch gesprungen – ich weiß bis jetzt nicht, wie das passiert ist, in einem Moment lagen drei Schlingen auf der Winsch, im nächsten Moment habe ich die Schot in der Hand, die nur noch links an der Winsch vorbei läuft, dann reißt der Wind sie mir aus der Hand. Obwohl wir vorher sicher einen Achtknoten gebunden hatten läuft sie durch den Block ab und, wie wir später festgestellt haben, verknotet sich fest und sicher an der Reling am Vorschiff. Zum Glück, denn eine Schot im Propeller wäre jetzt wirklich ein Problem gewesen.

Etwa in dem Moment streckte Pascal den Kopf durch das Schiebeluk und fragte, ob wir Hilfe bräuchten. Selten habe ich auf die Frage so schnell und klar “ja” geantwortet und mehr noch, ich sagte zu Pascal, dass es vermutlich Zeit zum “Mayday” sei. Das war aber eher meinem Stress in dem Moment geschuldet als einer tatsächlichen Notlage. Quetzal wurde zwar ordentlich herumgeschüttelt und so manche Welle schickte uns einen kräftigen Schauer bis in’s Cockpit, aber sie schwamm, wir machten Fahrt und hatten Kontrolle über die Richtung.

Unser Tagesziel war Dubrovnik, von unserer aktuellen Position noch ca. 80NM entfernt. In Wind und Welle machten wir so etwa sechs, vielleicht sieben Knoten fahrt, es wären also noch 12 Stunden bis Dubrovnik gewesen. Die Vorhersage hatte allerdings für Mitternacht nachlassenden Wind angekündigt, was unser Vorankommen begünstigt hätte. Wir blieben also erstmal auf Kurs, jetzt alle drei im Cockpit – an Schlaf war so oder so nicht zu denken.

5. Oktober, 23:46, 41°58’27,3″N 18°58’46,8″O
Als kurz vor Mitternacht noch kein Zeichen nachlassenden Wetters zu erkennen war, im Gegenteil, ich denke, die Wellen sind sogar noch höher geworden (aber auch da: so schwer zu schätzen), haben wir beschlossen nach Bar in Montenegro abzulaufen. Bar war zu dem Zeitpunkt ziemlich genau querab, also haben wir um 90° nach Steuerbord gedreht und Kurs auf Bar genommen.

6. Oktober, 1:12, 42°6’2,7″N 19°4’47,1″O
Wir erreichen die Außenmole von Bar. Vor der hell erleuchteten Stadt sind die Lichter des Hafens schwer auszumachen, aber Pascal bringt uns erstmal hinter die Mole des Industriehafens, wo wir Fender ausbringen und dann in den Yachthafen einlaufen. Wir wollen um diese Zeit mit möglichst wenig Aufwand fest machen und Pascal beschließt, dass das an der Tankstelle am einfachsten sei. Um ehrlich zu sein: in diesen Stunden war ich sehr dankbar für seine Besonnenheit und auch dafür, dass er bis alle Leinen fest waren klare und gute Entscheidungen gefällt hat. Ich war so durch, dass ich das nicht mehr wirklich konnte.

Irgendwann in der nächsten halben Stunde waren wir an der Tankstelle fest, aus den Klamotten und in der Koje. Und zwischen Festmachen und Koje hatten wir noch den Knoten in der Genuaschot klariert, so dass das Segel nicht noch länger im Wind flattert und leidet.

Ich war um mein Ölzeug extrem dankbar, denn unter Jacke, Latzhose und Bordstiefeln bin ich, bis auf die eine oder andere Wasserladung, die mir in den Kragen gelaufen ist, fast völlig trocken geblieben. Ich würde nicht behaupten, dass es kein schlechtes Wetter gibt, aber es gibt dann immerhin dem Wetter angemessene Kleidung.

Unser Schattenboot erreicht den Hafen kurz nach uns, läuft aber in den Industriehafen.

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